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Gedankensplitter zum "Zeichnen"

Die meisten Leute neigen dazu, beim Zeichnen ihren Block oder Bogen Papier flach auf den Tisch zu legen. Dies birgt allerdings die große Gefahr, daß die Verzerrung, die aufgrund der unterschiedlichen Entfernung einzelner Bildpunkte vom Auge des Zeichners entsteht, auch zu einer verzerrten und damit unrichtigen Darstellung des gezeichneten Objektes führt.

Edelmann 16.03.2005

Bemühen Sie sich daher, Ihren Zeichen- oder Skizzenblock stets so zu halten, daß der obere und untere Rand ihres Blocks gleich weit von ihrem Auge entfernt sind.

Stellen Sie sich vor, sie würden fernsehen oder am Computerbildschirm arbeiten. Was würden Sie sagen, wenn dieser Bildschirm ganz flach vor Ihnen auf dem Tisch liegt, wie ein Zeichenblock ? Bestimmt wäre Ihre erste Reaktion, den Bildschirm so aufzurichten, daß Sie ihn besser sehen können. Oder ? Genau so verhält es sich mit dem Zeichenblock.

Noch etwas: bemühen Sie sich, stets das Gesamtbild dessen, was Sie zeichnen wollen, im Auge zu behalten. Zu schnell verliert man sich in Details, wodurch im wahrsten Sinne des Wortes der "Überblick" verlorengeht. Die erste - und gar nicht zu unterschätzende - Aufgabe besteht darin, festzulegen, was alles aufs Bild kommen soll.

 

Das ist wie beim Fotografieren - wenn Sie durch den Sucher blicken, bemühen Sie sich ja auch, die etwas an den Rand der Gruppe gedrängte Tante Josepha noch auf das Bild zu kommen, auch wenn sie standhaft behauptet, dazu nicht fotogen genug zu sein.

Bei einem Foto stellen Sie immer sicher, daß all das, was Sie aufnehmen wollen, auch im Sucher erscheint - was natürlich nicht heißt, daß man dennoch hinterher böse Überraschungen erleben kann, weil z.B. der - ohnehin immer in höheren Regionen schwebende - Kopf von Onkel Leopold dicht über der Nasenwurzel abgeschnitten wurde.

Und das soll ja beim Zeichnen eben nicht passieren. Stellen Sie sich daher immer die Frage: "Was soll auf die Zeichnung?" - und...was noch wichtiger ist, "Wie teile ich das Blatt ein, damit für alles auch wirklich genug Platz da ist?" Sie werden selbst bemerken, wie es Ihnen passiert, daß sie frohgemut die Zeichnung beginnen, um dann plötzlich festzustellen, daß auf einmal am Rand gar kein Platz mehr ist.

Was tun? Auf keinen Fall dann den Gegenstand einer kosmetischen Korrektur unterziehen, so daß er plötzlich auf wundersame Art und Weise schlanker wird und dennoch auf dem Bild untergebracht werden kann. Auf keinen Fall! Das würde die Zeichnung runinieren.

Zeichnen Sie so weiter, als gäbe es den Rand nicht, und da, wo der Block endet, da endet dann eben auch die Linie, die noch soviel anderes darstellen sollte.

Um diese Probleme zu vermeiden, sollten Sie sorgsam abschätzen, ob auch alles wirklich auf das Bild paßt, was Sie zeichnen wollen. Deshalb empfiehlt es sich auch, das Blatt, auf dem man zeichnet, "eine Nummer zu groß" zu wählen; die Ränder kann man immer abschneiden, wenn es nötig ist - drankleben ist da schon schwieriger!

So, jetzt geht es los!

Schauen Sie einmal auf Ihre Hand, die den Bleistift hält. Halten Sie den Bleistift so, als wenn Sie damit Buchstaben schreiben würden ? Ja ? Dann sollten Sie diese Haltung ändern, d.h., den Bleistift weiter hinten anfassen, so daß er ca. 5 cm ( Zentimeter, nicht Millimeter !! ) vom vorderen Finger hervorragt. Sicherlich ein ungewohntes Gefühl ! Der Vorteil besteht darin, daß Sie auf diese Weise wirklich "lockerer" zeichnen können. Die Spitze des Bleistifts kann unwillkürlich größere Bewegungen ausführen, ohne daß Sie dazu Ihr Handgelenk sehr viel bewegen müßten. Sie erliegen auch nicht der Gefahr, zu stark auf das Papier aufzudrücken, sondern werden sehen, daß die entstehenden Linien viel zarter sind, als wenn Sie den Bleistift so anfassen würden, als wollten sie Buchstaben schreiben.


Vielleicht hilft der Vergleich mit einem Tennisspieler, der "aus dem Arm heraus" schlägt, und nicht etwa aus dem Handgelenk.

Erst wenn Sie die Umrisse Ihrer Zeichnung fertiggestellt haben und Sie darangehen, die Einzelheiten ganz genau zu zeichnen ( wenn dies überhaupt in Ihrer Absicht liegt ) sollten Sie die Haltung des Bleistifts so verändern, daß Sie auch feinste Details naturgetreu wiedergeben können - womit Sie wieder bei der Schreibhaltung des Bleistifts angelangt sind.

Sie werden merken, daß naturgetreues Zeichnen anstrengt - es kann in "richtige Arbeit" ausarten. Besonders Ungeübte verlieren dann schnell die Konzentration und damit den Überblick.

Was passiert ? Man schaut nicht mehr so genau hin, sondern zeichnet das, was man "weiß" ( klar, man kennt ja eine Tasse und die Krümmung des Henkels... ) - und - es stellen sich Fehler ein. Unausweichlich; dem kann man nicht entgehen. Das einzige Gegenmittel besteht darin, ganz
genau hinzusehen. Wenn Sie merken, daß Ihre Konzentration nachläßt, machen Sie eine kurze Pause.

Wie wäre es mit zehn Kniebeugen ? Lange keine mehr gemacht ? Sehen Sie ! Sollte man vielleicht doch öfter machen.
Also, nach zehn (es dürfen auch 11 sein !) Kniebeugen und der unausweichlichen Einsicht, daß man sich doch wieder öfter sportlich betätigen sollte, kehren Sie an Ihr Bild zurück.

Stellen Sie es so auf, daß Sie es aus ein paar Schritten Entfernung ansehen können. Schauen Sie es sich genau an. Stimmen die Proportionen ?
Oder ist ein Teil im Verhältnis zum anderen zu
groß oder zu klein ?

Nicht ? Gut, dann machen Sie weiter ! Schauen Sie sich zunächst noch einmal die Gesamtheit dessen an, was Sie zeichnen wollen. Ist alles am
richtigen Platz ? Wenn ja, dann gehen Sie ganz systematisch vor und fügen die Elemente in Ihr
Bild ein, von denen Sie bisher nur die Umrisse festgelegt haben.

Vermeiden Sie es nach Möglichkeit, beim Zeichnen den Bleistift zu fest aufzudrücken. Beim Festlegen der Umrisse ist es am sinnvollsten, alle Linien hauchdünn, also wirklich ganz, ganz dünn, auszuführen, so, daß sie gerade noch erkennbar sind. Auf diese Weise können Sie Ihre Zeichnung durch neue Linien - auch wieder ganz dünn - soweit korrigieren, bis Sie Ihre "Ideallinie" gefunden haben. Dann ist immer noch
Zeit, diese Ideallinie durch einen verstärkten
Strich hervorzuheben.
  Oft erhalten Zeichnungen durch die Sichtbarkeit von dünnen Hilfslinien einen besonderen Reiz, der bei einer detailgenauen Zeichnung ohne jede "unnötige" Linie verlorengeht.
Gerade Zeichnungen gewinnen oft durch lockere, flüchtige und skizzenhafte Linien.

Bei all dem, was über das Vorgehen beim Zeichnen hier gesagt ist, sollte man sich dennoch stets vor Augen halten, daß es mit Sicherheit nicht das "Alleinseligmachende" ist. Dieser Weg ist sozusagen der sichere und risikoloseste, um zu einer soliden Zeichnung zu gelangen.

Es kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß ein zeichnerisches Hochtalent oder Genie zu hervorragenden Ergebnissen kommt, indem er keine der gegebenen Ratschläge beherzigt, er z.B. mit seinem Bleistift von Anfang an mit dickem, festem Strich kräftig auf die Unterlage zeichnet, als wolle er etwas in die Rinde eines Baumstamms einritzen, sich auch nicht um die Proportionen schert und dem zu zeichnenden Objekt nur hin und wieder einen flüchtigen Blick schenkt.

Solange Sie jedoch nicht ganz sicher sind, selbst auch zu dieser Gattung Mensch zu gehören, wäre es sinnvoll, sich doch lieber auf dem altbewährten Pfad zu einer soliden Zeichnung zu bewegen.
Oft wird die Frage gestellt, "muß ich denn so gut zeichnen können, um zu malen ?"
Nein, muß man nicht, aber schaden tut es auch nicht - es ist sogar ein großer Vorteil.

Es ist wahrscheinlich nicht falsch zu sagen, daß man sein eigenes Bild erst dann richtig beurteilen kann, wenn man in der Lage ist, eigene Fehler auch deutlich zu sehen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß auch Leute, die über eine große zeichnerische Begabung verfügen, viele Fehler machen, die sie selbst erst nach längerem "Seh-" und "Zeichnen-Training" erkennen.

Der Clou des ganzen Zeichnens besteht nämlich viel weniger darin, tatsächlich mit dem Bleistift ein Abbild dessen, was man darstellen möchte, aufs Papier zu bringen, als vielmehr zu lernen, eine richtige von einer falschen Darstellung zu unterscheiden.

Oft hört man den Kommentar:

"Ja, ich sehe, daß da etwas nicht stimmt, es sieht so komisch aus, aber woran es genau liegt, kann ich nicht sagen."
Obwohl es schon einen großen Fortschritt bedeutet, Fehler überhaupt zu erkennen, sollte das Ziel des fortwährenden Zeichnens darin bestehen, nicht nur das Fehlerhafte sofort zu erkennen, sondern auch gleichzeitig in der Lage zu sein, diese Fehler richtigzustellen.
  Ebendies hat es mit dem "richtigen Sehen" auf sich, von dem immer wieder im Zusammenhang mit dem Malen und Zeichnen die Rede ist.

Man kann es vielleicht mit der Schulung des Gehörs eines Musikers vergleichen - das geschulte Ohr des Dirigenten hört die feinsten Mißtöne heraus, die wieder einmal ein Streicher seinem Instrument entlockt, während ein solcher Ton dagegen der Begeisterung des Opernfreundes völlig entgeht, obwohl auch dessen Gehör durch jahrelanges Abonnement sensibilisiert wurde.

Nun werden Sie mit Recht einwenden: "Ja aber, wenn ich sehe, was auch anerkannte Künstler malen, da ist doch auch alles krumm und schief, dann fällt das doch bei mir auch nicht auf."
Dies ist nur auf den ersten Blick hin richtig.

Auch hier sollte man sich nicht täuschen lassen - gewiß mag es auch unter den sog. anerkannten Künstlern solche geben, die nicht richtig zeichnen können, einem wirklichen Meister seines Fachs kann man dieses Defizit jedoch sicherlich nie nachsagen, auch wenn es sich nicht in seinen Werken widerspiegelt. Es besteht ein großer Unterschied darin, ob man nicht richtig zeichnen - und damit sehen - kann, oder ob dies überhaupt nicht in seiner künstlerischen Absicht liegt.
 
Diesen Unterschied kann man in etwa mit der krakeligen Schrift eines Kindes vergleichen, das darin noch völlig ungeübt ist, während die ausgeprägte Handschrift eines Erwachsenen
fast ebenso unleserlich erscheint.

Der wirkliche Wert des richtigen "Sehens" - und damit "Beurteilens" wird von Anfängern vielfach vollkommen verkannt.
Stattdessen richten sie ihr Augenmerk darauf, wie sie am besten die Farbe auf die Leinwand bekommen und erzielen oft - eigentlich auch ganz schön aussehende - Bilder, die einem Fachmann jedoch auf den ersten Blick enthüllen, wie weit der Grad der Fertigkeiten in Wirklichkeit gediehen ist.

In diesem Sinne trifft der Ausspruch
"Sehen ist alles, die wenigsten aber können sehen." von Wilhelm Leibl (zitiert in FAZ vom 9.10.2000, Nr. 234, S. 57) sicherlich den Nagel auf den Kopf.

Was lernen wir daraus ?


Wir sollten alle wieder viel mehr zeichnen ! Worauf warten Sie noch ?